Syndromes and a Century (2006) – einer der schönsten Filme über das Mysterium des Lebens
2022 veröffentlichte Sight and Sound (wie jede Dekade) ihre „250 Greatest Films of All Time“ Liste. Und als ich so durch die Liste durchblätterte und mir zuvor völlig unbekannte Filme voller Euphorie auf die Watchlist packte, stach vor allem ein Film heraus: „Syndromes and a Century“. Nicht unbedingt, weil er besonders hoch auf der Liste platziert war (eigentlich befindet er sich eher am unteren Ende der Liste). Eigentlich weiß ich selbst nicht genau, warum ich diesen Film fortan unbedingt sehen wollte. Vielleicht war es der in der Liste präsentierte Shot, den ich unglaublich schön fand, vielleicht war es aber auch der besondere Titel. Die Zeit verging und während ich immer weiter die Sight and Sound Liste aufarbeitete, einen Klassiker nach dem anderen entdeckte und sogar andere Werke des (großartigen) Regisseurs Apichatpong Weerasethakul schaute, blieb immer noch das Werk übrig, was ich (von ihm) am dringensten sehen wollte: „Syndromes and a Century“. Nur habe ich nie eine Möglichkeit gefunden, den Film nachzuholen. Jetzt, fast zwei Jahre später, habe ich es endlich getan – und glücklicherweise ist der Film genauso wundervoll wie ich es mir vorgestellt habe. Bei manchen Filmen spürt man einfach eine besondere Konnektivität und das passt im Fall von Weerasethakuls Werken besonders gut, denn er stellt die Welt in all ihrer Mystik, ihrer Unerklärlichkeit, dar.
Auf den gängigen Postern von „Syndromes and a Century“ ist ein Herz zu sehen. Und das passt sehr gut, im Kern behandelt der Film nämlich genau dieses. Im Setting eines Krankenhauses, den örtlichen Doktoren und deren Kontakt mit Patienten, erzählt Weerasethakul quasi eine Geschichte über die moderne Welt. Er verarbeitet hier seine eigenen Erinnerungen an seine Eltern, die in einem derartigen Krankenhaus arbeiteten.
„Syndromes and a Century“ ist aber ein viel weitreichenderes Porträt des Lebens und der Liebe. Weerasethakul stellt die Rationalität und Logik der Medizin mit spirituellen Ansätzen gegenüber und stellt so dar, wie wir die Welt im Kern nicht verstehen können – aber nie auf eine unheimliche oder beängstigende Weise. Vielmehr zeigt er, wie die Dinge, die wir nicht verstehen, denen eine gewisse Mystik inne wohnt, das Leben erst lebenswert machen. Man kann das Herz natürlich aus biologischer Sicht erklären, was es aber für das Leben bedeutet ist vielmehr das Mysterium der Liebe. Weerasethakul zeigt, wie die Logik und Medizin zwar die Existenz in der modernen Gesellschaft gewährleisten, erst durch das Unerklärliche beginnt man aber wahrhaftig zu leben.
Durch langsame Kamerafahrten und den Einsatz von lang anhaltenden Totalen schafft es „Syndromes and a Century“, selbst simple Momente in eine Art mystische Erleuchtung zu Formen, die den Blick auf die Welt in Gänze verändern. Dadurch hat man das Gefühl, dass die Moderne vielleicht die mystischste aller Zeiten ist, denn nun da man so viel von der Welt sieht, so viel von ihr weiß, erkennt man erst wahrhaftig, wie viel wir nicht wissen. Aber ist nicht genau das wunderschön? Gefühle, Dinge und Gegebenheiten, die man nicht erklären kann?
„Syndromes and a Century“ ist einer der schönsten Filme über die Liebe, eben weil er das Mysterium der Welt auf so wundersame Weise einfängt. Mal wieder schafft Weerasethakul am Ende einen der besten Needle-Drops der Filmgeschichte (obwohl ich vorher noch nie von dem Musikstück gehört hatte) und mal wieder gleicht einer seiner Filme einer religiösen Erleuchtung. Das schafft sonst kein anderer Regissuer und allein das macht Weerasethakul zu einem der besten Regisseure aller Zeiten: er schafft es, dass der Zuschauer die Welt förmlich inhaliert und in all der Bewegtheit noch minutenlang nach dem Film nachschwingt.
Punkte: 10/10