Kinds of Kindness (2024) – drei Geschichten, aber eine Vision
Drei separierte Geschichten. Zwei Hauptdarsteller. Eine Verbindung: R.M.F.. Während die immer gleichen Schauspieler in stets unterschiedliche Rollen schlüpfen bleibt ein Charakter konstant: R.M.F.. Er ist lediglich unter diesen drei Initialen bekannt und nimmt eine äußerst kleine Rolle ein, die aber im Angesicht des Wandels der abgeschlossenen Teile immer präsent ist. So sehr sogar, dass alle drei nach ihm benannt sind: „The Death of R.M.F.“, „R.M.F. is Flying“ und „R.M.F. Eats a Sandwich“. Obwohl er immer nur kurz zu sehen ist, ist er in jeder Geschichte ein essentieller Teil dieses labyrinthartigen Puzzles, das keinen Ausgang und keine Lösung zu haben scheint. Man kann sich natürlich fragen, was R.M.F. zu bedeuten hat, grundsätzlich bringt er aber die Verbindung, die sonst ausschließlich thematisch gegeben ist.
Ob ein Mann, der alles für seinen Boss tun würde, ein Polizist, der seine Frau nach ihrer unverhofften Wiederkehr für einen Doppelgänger hält oder eine Sekte, die nach ihrem prophetartigen Führer sucht: alle drei Geschichten behandeln im Kern die gleichen Thematiken und die gleichen Beobachtungen, nur präsentiert Lanthimos diese stets in einem neuen Gewand. Es ist so keineswegs der eingeschränkten Produktion geschuldet, dass Schauspieler wie Emma Stone, Jesse Plemons oder Willem Dafoe in unterschiedlichen Rollen auftauchen.
„Kinds of Kindness“ ist grundsätzlich ein Enigma, das aber, wie alle von Lanthimos Filmen, auf einer tieferen Ebene einen Sinn ergibt. Wie ein unlösbarer Zauberwürfel, dessen verschobene Muster aber scheinbar immer etwas bedeuten. Selbst wenn man den Film als sinnlose, traumartige Erfahrung aufnimmt bietet „Kinds of Kindness“ eine gewisse Immersion. Denn Lanthimos jongliert erneut Humor mit dem Grotesken und blickt dadurch auf einzigartige Weise in die Abgründe des Menschseins.
Dennoch: fundamental behandelt „Kinds of Kidness“ noch etwas, das über diese Irrationalität hinausgeht und mehr die verfaulten Wurzeln des gesellschaftlichen Lebens selbst offenlegt. Alle drei Geschichten ergänzen sich insofern thematisch, dass sie alle den menschlichen Drang nach konstanten, Sicherheit vermittelnden Beziehungen behandeln und die Konsequenzen, wenn diese Bindungen zerbrechen. Verknüpft die erste Geschichte „The Death of R.M.F.“ noch diesen Drang mit der Beformundung des kapitalistischen Arbeitsverhältnisses, in das man durchaus eine Kritik an der Unfähigkeit des selbstständigen Handels, das daraus resultiert, hineinlesen kann, behandeln die beiden folgenden Geschichten mehr die Notwendigkeit von menschlicher Konnektivität für das Individuum auf einem fundamentaleren Niveau – und im Umkerschluss zudem die Opfer, die es für diese bereit ist zu zahlen.
Schauspielerisch kann dabei der gesamte Cast absolut überzeugen, insbesondere Jesse Plemons und Emma Stone zeigen eine beeindruckende Wechselwirkung zwischen Wandelbarkeit und Stetigkeit, was alle drei Geschichten gleichzeitig voneinander abhebt und doch verbindet.
Dafür, dass „Kinds of Kindness“ drei einzelne Storys erzählt, ist das Pacing sehr ansehnlich, allerdings hat der Film strukturell einige Mängel aufzuweisen. Die erste Geschichte ist in meinen Augen bei weitem die komplexeste und hat zudem den spannendsten Verlauf, was die beiden folgenden Geschichten etwas antiklimatisch erscheinen lässt. Diese sind, mit den Erwartungen des Anfangs, etwas zu gewohnt und bieten zwar einen interessanten Rahmen, der aber schon von der ersten Geschichte komplex illustriert wurde. Es wird hier Lanthimos etwas zum Verhängnis, dass er nie eine Antwort bietet, denn vor allem die späteren Geschichten fühlen sich dadurch noch unvollständiger an als sie sowieso schon sind.
„Kinds of Kindness“ hat seine Schwächen, man spürt aber zu jeder Sekunde Lanthimos einzigartige und schräge Handschrift, die mehr an „The Killing of a Sacred Deer“ als an „Poor Things“ erinnert. Ist es Zufall, dass R.M.F. für „Risk Management Framework“ steht und dies erstaunlich gut zu der ersten Geschichte passt? Dass seine Geschichte übergreifend quasi eine religiöse Auferstehung versinnbildlicht? Dass Emma Stones Präsenz von Geschichte zu Geschichte zunimmt, während Jesse Plemons Haare stetig kürzer werden und die Verbindung beider scheinbar immer wichtiger wird? Das muss am Ende jeder für sich selbst entscheiden. Fakt ist nur, dass „Kinds of Kindness“ erst den Spielraum für all diese Überlegungen zulässt und das macht den Film auf alle Fälle sehenswert – zumindest wenn man mit Lanthimos Stil etwas anfangen kann.
Punkte: 7/10