3 Women (1977) – Surrealismus in seiner realistischsten Form
„3 Women“ bestätigt einmal mehr eine These, die ich bereits vorher vermutete: es sind die surrealistischen Filme, die ich von den großen Realisten und Humanisten des Kinos am meisten schätze. Ob Akira Kurosawas „Dreams“, Federico Fellinis „8½“, John Cassavetes „Love Streams“ oder eben Robert Altmans „3 Women“: es sind oft die realitätsfernen Werke, die meiner Meinung nach die größten Stärken dieser Regisseure einfangen. Besonders bezogen auf Cassavetes und Altman trifft dies zu, ich kann mit ihren anderen Werken deutlich weniger anfangen. Natürlich liegt dies zum einen in dem Fakt begründet, dass ich ein großer Fan des Surrealismus bin, zum anderen hat es aber noch einen zweiten Grund: die größte Stärke von besagten Regisseuren ist nämlich die Psychologie, ihre umfangreichen und realistischen Charakterstudien. Sie müssen so zwangsläufig das Talent besitzen, in das Innere zu blicken und das wird im Surrealismus wohl am besten kanalisiert, denn hier wird das Innere zum Äußeren, hier verschwimmt die Oberfläche mit dem, was sich darunter befindet.
„3 Women“ kristallisiert so alles heraus, was Altmans Stil ausmacht und ergänzt ihn um eine weitere Ebene – oder man könnte gegensätzlich sagen er nimmt ihm die Ebene des bloßen Realismus, um nur noch das übrig zu lassen, was in Altmans Charakterisierungen wirklich zählt. Es ist eine Geschichte von drei Frauen (oh Wunder), deren Psychen auf ähnliche Weise ineinadergleiten wie in Bergmans „Persona“.
Interessanterweise sind von den titelgebenden „3 Women“ aber nur zwei wahrhaftig präsent. Zum einen Mildred oder Millie, wie sie genannt wird: eine junge Frau, die selbstsicher und extrovertiert auftritt, während sie gar nicht zu bemerken scheint, dass sie eigentlich eine Außenseiterin ist. Sie wird ignoriert, redet aber einfach weiter. Diese Selbstsicherheit ist wohl das, was die zweite Frau namens… Mildred oder Pinky, wie sie genannt werden will, bewundert. Sie ist eine jugendliche, eher zurückhaltende Frau und lernt Millie kennen als sie bei einer Reha-Klinik für Senioren zu arbeiten beginnt.
„3 Women“ startet geerdet, schon früh beginnt Altman aber intelligente Symbole einzubauen, die die Psyche der beiden Frauen verdeutlichen. Dies startet schon bei den Namen: Die Verbindung der Frauen wird natürlich schon durch ihren gleichen Namen angedeutet, es ist aber bezeichnend, dass Pinky in ihrer Unsicherheit ihren Namen ablehnt. In Millie findet sie quasi sich selbst oder zumindest erkennt sie die Sicherheit, die sie gerne hätte. Millie wiederum findet in Pinky eine Art Bestätigung für ihre Selbstsicherheit, während sie vorher nur auf Gleichgültigkeit traf. Genauso bezeichnend wie ihre Namen ist aber auch ihr Beruf: es ist kein erzählerischer Zufall, dass sie in einer Reha-Klinik arbeiten, es spiegelt ihren Drang nach Kontrolle und dem Gefühl gebraucht zu werden.
Das geniale Chaos der Handlung entfaltet sich aber erst durch die dritte Frau, die wie bereits erwähnt nie wahrhaftig präsent ist – zumindest nicht direkt. Willie, die älteste der drei Frauen, tritt erzählerisch nur am Rande auf. Sie malt obskure und groteske Figuren, die in Lust und Gewalt ineinader verschlungen sind. Sie ist nur wenige Male direkt zu sehen, es ist aber ihre Kunst, die sie fast omnipräsent macht. Denn an der Wohnung von Millie und Pinky befindet sich ein Gemeinschaftspool, an dessen Boden sich die grotesken Malereien von Willie winden und direkt in die Seele der beiden Frauen starren.
Nicht nur floskelhaft, sie verkörpern den Konflikt, der die Beziehung von Pinky und Millie von Harmonie in Disharmonie umschwingen lässt. Denn genauso wie sich auf dem Boden des Pools diese grässlichen Figuren befinden, so verbergen sich unter der Haut der Frauen ähnliche Motive. Erst dann schwingt der Film in Surrealismus um und erst dann wird der ruhige Pool zum reißenden Meer. Man bekommt vor allem in dieser Dissonanz Altmans geniales Verständnis für seine Figuren zu Gesicht, denn er versteht wie Nahe die Zustände von Verbindung und Fusion beisammen liegen, wie schnell zwei Psychen zu einer werden und wie schnell dadurch Bewunderung eine Kehrtwende zu Verachtung vollziehen kann.
In Millies und Pinkys Verbindung offenbart sich den Frauen nämlich stetig mehr über sich selbst als über die jeweils andere und das legt den blanken Schmerz der Verwundbarkeit frei. Pinkys Bewunderung für Millies Selbstsicherheit mündet immer mehr in dem Drang, zu ihr zu werden. Dies bedingt aber nicht nur, dass Pinkys Psyche zu Millies Psyche wird, sondern dass beide ineinaderdriften. Denn desto mehr Pinky zu Millie wird, desto mehr entdeckt Millie in ihrem Spiegel die Außenseiterin, die sie eigentlich ist, aber verdrängt zu sein. So gleiten beide Psychen quasi aneinander vorbei, bis sie vertauschte Rollen inne haben.
Das alleine zeigt schon wie genial Altman seine Charaktere analysiert, ich möchte dabei aber anmerken, dass meine Worte dieser Komplexität nicht annähernd gerecht werden können. In jede Geste der Performances von Shelley Duvall (Millie) und Sissy Spacek (Pinky) lassen sich so viele Motive deuten, beide liefern wohl die besten Performances ihrer Karriere ab. In jedem Bild scheint so viel Symbolik zu lauern, dass sie mit einer Sichtung unmöglich in Gänze zu erfassen ist.
Für viele mag dies vor allem „Nashville“ bewiesen haben, aber mir hat „3 Women“ Altmans Genie in Gänze offenbart. Hier erfährt man so viel über die Funktionsweise von Beziehungen, über die menschliche Psyche und über den Wandel der eigenen Identität, dass David Lynch sich sicherlich für „Mulholland Drive“ hier Inspiration gesucht hat. Ich kann es ihm nicht verübeln, denn er hat ein Meisterwerk geschaffen. Es sollte dabei aber nicht untergehen, dass „3 Women“ einem genauso umwerfenden Meisterwerk gleicht.
Punkte: 10/10