Laura (1944) – eine Dekonstruktion des Film-Noir
„Love is stronger than life“
In der düsteren Welt des Film-Noirs, in der Gefühle von den dunkelsten Mänteln der Nacht verborgen werden, ist eine Kernthematik erstaunlicherweise die Liebe. Sie ist eine der wenigen emotionalen Regungen, die man von Figuren in besagtem Genre zu sehen bekommt, vielleicht weil man sie nicht verbergen kann. Sie ist eine der Hauptmotive für Jäger als auch Gejagte, für Polizisten und Mörder. Eine wichtige Essenz, um die Rolle der Liebe im Film-Noir zu verstehen bildet der weibliche Archetyp ab, der Filme des Genres öfters begleitet als dass er es nicht tut: die Femme Fatale. Eine verführerische Frau, die ihre Attraktivität für ihre eigene Agenda benutzt. Sie ist so eine Antithese zu dem objektifizierenden Rollenbild, das Frauen Mitte des 20. Jahrhunderts in Film und Fernsehen einnahmen: denn sie drehen genau diese Objektifizierung um und machen sie sich zunutze. Sie versinnbildlichen quasi die Rolle, die die Liebe im Film-Noir einnimt: eine verführerische Kraft, die Menschen zu Taten drängt, die sie sonst niemals begehen würden.
Es ist daher interessant wie „Laura“ mit diesem Rollenbild und dieser Vorstellung der Liebe spielt, denn hier ist es Laura selbst, die vermeintliche Femme Fatale, die umgebracht wurde. Und dennoch hat sie auf alle Figuren noch in ihrer Absenz enormen Einfluss: auf Waldo, einen älteren, zynischen Mann der Presse, der sich hoffnungslos in Laura verliebt hat, auf den jungen Mann Shelby, der Laura heiraten wollte und selbst auf den ermittelnden Detective Mark McPherson, der sichtlich vereinnahmt von Lauras Porträt zu sein scheint.
„Laura“ dekonstruiert so das Rollenbild der Femme Fatale, denn ohne dass Laura selbst überhaupt anwesend ist, beeinflusst ihre Schönheit besagte Männer, während in Rückblenden zu erkennen ist, wie diese sie versuchten zu manipulieren. Der Film hinterfragt so indirekt diesen Archetyp und ob die Femme Fatale überhaupt eine Antithese zum objektifizierenden Rollenbild ist oder vielmehr genau aus diesem entspringt – denn erst dadurch, dass Laura auf ihre Schönheit beschränkt wird, quasi objektifiziert wird, entsteht Raum für Manipulation.
Otto Premingers Werk schafft es so den Film-Noir als gesamtes Genre zu dekonstruieren, während er gleichermaßen typischen Figurenkonstellationen des Genres folgt. Ich wünschte nur die Ermittlungsarbeit wäre nicht ganz so trocken und würde nicht in einem Twist resultieren, den ich bereits in den ersten Minuten des Films vermutete (ich wünschte manchmal wirklich, mir würde es schwerer fallen Twists vorherzusehen, denn das würde die Seherfahrung einiger Filme immens aufwerten).
„Laura“ besticht so weniger durch das, was den Film zu einem Noir-Klassiker macht und mehr mit dem, was ihn von einem solchen abhebt. Wäre der eigentliche Plot so Komplex wie der Subtext dann wäre hier einer der besten Genrevertreter entstanden, auch so ist die Bedeutung des Films für das Genre aber immens und man sollte seine Intelligenz im zeitlichen Kontext nicht herunterspielen.