Pulse (2001) – die Abgründe des Internets
Was ist beängstigender als das Internet? Eine undurchsichtige, nahezu allwissende Parallelwelt, in deren dunkelsten Ecken sich jegliche Abgründe der Menschheit wiederfinden lassen. Es beinhaltet nahezu alles und doch weiß der einzelne so wenig darüber. Es ist ein Irrgarten der kompensationshaften Ablenkungen und doch benutzen wir alle es vermutlich alltäglich – du, ja genau du, sogar in diesem Moment, in dieser Sekunde. Wen das aber noch immer nicht überzeugt, dass das Internet eine der beängstigenden Erfindungen der Menschheitsgeschichte ist, der sollte „Pulse“ anschauen und dann seinen Gedankengang noch einmal überdenken.
Der Film kam zu einer Zeit heraus, in der das Internet tatsächlich noch Neuland war und für viele wohl noch einem Mysterium glich. Wenn man den Film aber aus heutiger Perspektive sieht, so ist es erschreckend wie akkurat Kiyoshi Kurosawa schon vor 23 Jahren die Schattenseiten und Gefahren des Internets erkannte.
„Would you like to meet a ghost?“ Diese Frage erscheint auf dem Bildschirm, wenn man die Webseite bekannt unter dem Namen „The Forbidden Room“ aufruft. Ryosuke, Harue und weitere Bewohner Tokyos müssen aber mit erschrecken feststellen, dass diese Frage wörtlicher zu nehmen ist, als sie vielleicht im ersten Moment vermuteten. Denn das Internet ist hier im wahrhaftigen Sinne eine Geisterwelt. Gleich mehrere Figuren in „Pulse“ treffen auf Geister, die quasi im Internet leben und so Einfluss auf die Gegenwart nehmen.
„Pulse“ ist durch seine langsame Erzählweise, bei der man in jeder dunklen Ecke etwas abscheuliches vermutet, einer der gruseligsten Filme, die ich in der letzten Zeit gesehen habe. Er setzt nicht auf Jump-Scares, sondern auf Bilder, die sich wie heißes Eisen in den Kopf einbrennen und meine Gedanken, ähnlich wie eigene kleine Geister, noch lange heimsuchen werden.
Das erschreckendste an „Pulse“ ist aber wohl nicht der eigentliche Horror, sondern Kurosawas Blick auf das Internet selbst. Man kann das Internet als Geisterwelt leicht als gruselige Prämisse abstempeln, die wie eine modernere Version von „Ring“ fungiert, „Pulse“ ist aber um einiges intelligenter als das. Es wirkt auch aus heutiger Sicht akkurat, dass das Internet Herberge für Geister ist, Kurosawa verleiht dieser These aber eine Doppeldeutigkeit, die in die Abgründe der modernen Gesellschaft selbst blicken lässt.
Man kann in seinem hauseigenen Bildschirm durch das Internet offensichtlicherweise auf Aufnahmen von längst verstorbenen Menschen stoßen, die die Gegenwart wie Geister heimsuchen, denn das Internet vergisst nicht. Was aber, wenn der Bildschirm schwarz wird und die Spiegelung seiner selbst einem plötzlich ebenfalls wie ein Geist vorkommt? Kurosawa zeichnet das Internet als genau das: nicht nur ein Speicher von geisterhaften Geschöpfen, sondern eine Schmiede von Geistern. „Pulse“ benutzt seine Story als Metapher auf die Isoliertheit, die durch die scheinbare Verbindung des Internets erfolgt. Schon damals verstand Kurosawa, dass eine schier omnipräsente Konnektivität nicht unbedingt eine gesteigerte menschliche Verbindung bedingt. Vielmehr isoliert das Internet Menschen und lässt sie zu Geistern werden, bis die ganze Gesellschaft nur noch aus solchen besteht, nur noch existent in der Geisterwelt, die das Internet ist.
„Pulse“ ist so weniger ein Produkt seiner Zeit, in der das Internet noch einem derartigen Mysterium glich, sondern mehr eine hochaktuelle Kritik an der gesellschaftlichen Isoliertheit, die aus der Nutzung des Internets folgt. Einige Computereffekte sind nicht perfekt gealtert und das Ende hat seine Schwächen, als Gesamtwerk schlägt „Pulse“ aber in eine ähnliche Kerbe wie Kurosawas voriges Werk „Cure“: gleichzeitig extrem gruselig und voll von intelligenten Beobachtungen über die moderne Gesellschaft, die vielleicht für ihre Zeit sogar zu aktuell waren.
Punkte: 8/10