Longlegs (2024) – der Mystery-Thriller auf den ich lange gewartet habe
Die Trailerkampagne von „Longlegs“ war genial. Entgegen des Trends den gesamten Film auf zwei Minuten zu komprimieren, zeigen die Trailer erstaunlich wenig. Vieles blieb offen, Nicolas Cage bekam man nichteinmal zu Gesicht. Eines versprachen die Trailer so aber sehr direkt: endlich mal wieder einen packenden Mystery-Thriller – und das Verspechen hält „Longlegs“ zumindest zu großen Teilen.
Osgood Perkins Vorbilder sind definitiv deutlich zu erkennen: das Setting selbst hat Ähnlichkeiten mit „The Silence of the Lambs“, der Rest der Story und der Look erinnern an „True Detective“ und die Kameraarbeit und Inszenierung gleichen Kyoshi Kurosawas Meisterwerk „Cure“. Trotzdem kreiert Perkins daraus etwas ganz eigenes, etwas, das die großen Stärken des Genres gelungen einfängt, sich aber etwas zu sehr auf den übernatürlichen Aspekt verlässt.
Vor allem die erste Hälfte ist absolut gelungen. Langsam schlängelt sich die Handlung in das Verderben, das später völlig eskalieren soll. Der Film schafft es dabei eine beängstigende Stimmung aufzubauen, die keinen Raum zum durchatmen lässt. Die Kamera blickt (wörtlich und metaphorisch) in die dunkelsten Ecken, die immer zurück zu starren scheinen. Der Horror entsteht so vor allem aus dem Unbekannten und Unsichtbaren, was die Hauptthematik und größte Stärke, wird sie auf den Zuschauer übertragen, von Mystery-Thrillern sehr gut verkörpert: das Gefängnis der menschlichen Psyche. Der Schrecken vor dem, was man vor dem inneren Auge kommen sieht und nicht vor dem, was wahrhaftig geschieht.
Leider lässt diese omnipräsente Spannung ab dem Punkt etwas nach, ab dem „Longlegs“ Nicolas Cage deutlicher in Szene setzt. Was den Film bis zu diesem Zeitpunkt so gruselig macht ist die Ungewissheit und der Schauer vor dem Mysterium, das er darstellt. Zu früh bringt der Film Licht in die dunklen Ecken, deren Ungewissheit, deren Mysterium erst so packend ist – was die Trailer eigentlich so fantastisch vermieden haben. Denn grundsätzlich funktioniert Cage in seinem manischen Over-Acting sehr gut in dieser satanistischen Erscheinung, die mit mehr Verschleierung noch effektiver gewesen wäre.
Auch der übernatürliche Faktor nimmt in der zweiten Hälfte etwas zu präsent überhand, bis er im Ende in absolute Abstrusität abdriftet. Dabei war die große Stärke des Films und die große Stärke des Genres eigentlich genau gegenteiliges: die Realitätsnähe. Mystery-Thriller verkörpern den Alptraum, den man mit geschlossenen Augen nicht sehen kann: den Horror der Realität. Der wahre Schrecken des Genres ist die Möglichkeit, dass es vergleichbares tatsächlich gibt und das geht bei „Longlegs“ etwas zu sehr unter. Findet die Handlung in den ersten beiden Dritteln noch den beängstigenden Grat zwischen Realität und Übernatürlichem, verliert sich das Ende zu sehr in letzterem.
„Longlegs“ ist so alles andere als perfekt und ich wünschte einige Entscheidungen hätten anders ausgesehen. Dennoch gab es lange keinen Mystery-Thriller mehr, der inszenatorisch das Genre so gut verstanden hat. Trotz all der Inspirationen wirkt es daher erfrischend, endlich mal wieder einen derartigen Film auf der großen Leinwand zu sehen und endlich mal wieder die Angst zu atmen, die die Figuren während ihrer Ermittlungen verspüren.
Punkte: 7/10