Chronik der Anna Magdalena Bach (1968) – Was die Kunst mit dem Leben zutun hat
„Chronik der Anna Magdalena Bach“ ist wie die Arthouse-Version von „Amadeus“. Die meiste Laufzeit über werden Musikstücke von Johann Sebastian Bach gespielt, während in Zwischenpassagen seine Frau Anna als Erzählerin die Geschichte von ihr und ihrem Mann Revue passieren lässt.
Zugebenermaßen braucht man ein gewisses Faible für klassische Musik, um „Chronik der Anna Magdalena Bach“ etwas abgewinnen zu können. Wenn diese Grundvoraussetzung aber gegeben ist, so ist der Film absolut vereinnahmend.
Nicht nur ist Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets Werk offensichtlicherweise eine Liebeserklärung an die Kunst und expliziterweise natürlich an Bachs famose Stücke, sondern er stellt auch Bachs Leben mit besagter Kunst gegenüber. Die himmlischen Klänge seiner Kompositionen weichen immer wieder Erzählungen irrdischer Probleme, vor allem aus monetärer- und familiärer Sicht. So stellt der Film im Kern die Finanzierungsprobleme eines Genies und dessen trivialen Kampf mit dem Leben dar. Er hinterfragt so durchaus die Stellung des Künstlers in der Gesellschaft und wie dieser Künstler (beispielsweise von Kaisern und Königen) wahrgenommen wird.
Allerdings wirft der Film so auch die Frage auf: hätte es Bachs Werke ohne diesen Kampf überhaupt gegeben? Oder haben seine Anstrengungen sich über Wasser zu halten erst sein Genie hervorgebracht? Hätte er solch himmlische Stücke überhaupt komponiert, wenn er den Himmel auf Erden gelebt hätte? Oder ist es vielmehr ein Ausweg vor dem Irrdischen für Bach selbst, genau wie für den Zuschauer? Es scheint als hätte dieses disfunktionale Zusammenspiel Bachs Werke erst hervorgebracht. Denn die Stimmung der Lebensabschnitte von Anna Magdalena Bachs Erzählungen spiegeln in gewisser Weise auch die Klänge von Bachs Musik. Erst das Erleben formt die Kunst und erst die Kunst erweitert das Erlebte.
„Chronik der Anna Magdalena Bach“ ist ein toller Einblick in das Leben eines Künstlers, vor allem weil der Film fast ausschließlich aus der Kunst selbst besteht. Aus der Schwierigkeit diese umzusetzen – im Sinne vom Talent sie zu spielen, als auch von ihr zu Leben. Beides kommt einer Meisterleistung gleich, die der Film mit einer eigenen Meisterleistung einfängt.
Punkte: 9/10