Closed Curtain (2013) – wenn die Unendlichkeit des Verstandes die äußeren Grenzen überschattet
Mit „Blue Velvet“ zog David Lynch den Vorhang der Gesellschaft zurück, um deren Abgründe zu enthüllen. Mit „Closed Curtain“ wiederum macht Jafar Panahi, wie der Titel bereits verrät, quasi das genaue Gegenteil: er zieht den Vorhang vor der Gesellschaft zu. Nicht unbedingt, um damit die gesellschaftlichen Abgründe zu verdecken, sondern eher weil er keine andere Wahl hat. Er wurde wegen „Propaganda gegen das System“ (mit anderen Worten: seiner Gesellschaftskritik) zu einem Berufsverbot von 20 Jahren verurteilt. Und so dreht er seine Filme seit „This is Not a Film“ im Geheimen, ohne großes Budget und meist beschränkt auf eine Location.
„Closed Curtain“ ist aber mehr als das Werk eines Künstlers, der seine Arbeit auf kleinerer Ebene fortzuführen versucht. Es ist ein Werk, dessen Grenzen mit der Realität auf mehreren Ebenen verschwimmen und dessen allegorische Art Panahis größte filmische Einschränkung zu seiner größten cinematischen Stärke werden lässt.
Die Bezogenheit auf die Realität beginnt schon im ersten Bild und endet erst mit dem Letzten: denn die Kamera verlässt nie das Haus, weil sie verboten ist. Im ersten Bild beobachtet sie hinter einer Gittertür (die symbolisch für Panahis Einschränkungen zu sehen ist) wie ein Mann, ein namenloser Autor, der der Hauptcharakter der ersten Hälfte des Films bleibt, sein Auto ausläd und schlussendlich das Haus betritt. Er scheint verfolgt zu werden, denn er sucht in besagtem Haus, hinter zurückgezogenen Vorhängen, Unterschlupf. Nicht nur wird besagter Autor von Kambuzia Partovi, dem zweiten Regisseur des Films, verkörpert und stellt so schon direkt eine Beziehung zur Realität her, seine Situation gleicht ebenfalls der von Panahi selbst. Insgeheim schreibt er nämlich, scheinbar als Drehbuchautor von einem Film. Er hat zudem einen Hund, der direkt die Verbindung zum revolut gegen das System (bzw. die Eingeschlossenheit, die Ausgeschlossenheit gleicht) symbolisiert, denn Hunde sind, zumindest in der Öffentlichkeit, verboten.
Das ist aber erst der Anfang von Panahis Symbolik. Das erste Drittel des Films verfolgt wohl eher einen dokumentarischen Stil, in dem man das isolierte Leben des Autors verfolgt. Allerdings eskaliert „Closed Curtain“ immer weiter in Referenzen, auf ähnlich monumentale Weise wie „Through the Olive Trees“ (an dem Panahi als Assistant Director mitgewirkt hat). Denn das abgeschottete Leben des Autors wird durch eine junge Frau unterbrochen, die plötzlich im Haus auftaucht. Auch sie wird scheinbar verfolgt, wie genau sie aber das Haus betreten hat bleibt unklar. Jede der Figuren hat immense symbolische Bedeutung, die Frau namens Melika ist aber eine der Wichtigsten. Sie ist quasi die personifizierte Freiheit, denn sie kommt und geht wann sie will und macht und lässt was sie will. So ist es nicht verwunderlich, dass sie auf dieselbe Weise von der meinungsverbietenden Regierung verfolgt wird wie der Autor. Man könnte hierhingehend noch einen Schritt weitergehen: die Figuren verkörpern in gewisser Weise alle einen Teil von Panahis Persönlichkeit. Der Autor eben den Drehbuchautor, den Erschaffer von fiktionalen Werken, die Frau seinen Verstand, der das einzig Freie bleibt und letztendlich tritt er selbst in der zweiten Hälfte des Films als Filmemacher auf, der sich irgendwo zwischen den beiden anderen Figuren bewegt.
Das Interessante an der Handlung ist, dass der Autor in der zweiten Hälfte des Films verschwindet. Melika wirft ihn aus dem Haus (ohne dass der Zuschauer dies sieht) und ab diesem Punkt nimmt Panahi selbst die Hauptrolle ein. Es ist so passend, dass der Autor aus diesem Werk verdrängt wird, denn genau das ist die Folge von Panahis Einschränkungen.
Es ist nicht im direkten Sinne seine größte Einschränkung als Filmemacher, dass er im Geheimen, beschränkt auf minimalistische Szenerien, drehen muss, sondern dass er dadurch immer ein Werk kreiert, dass zwangsläufig seine eigene Situation widerspiegelt. Deswegen ist für den fiktionalen Autor keinen Platz, Panahi kann lediglich noch die Realität einfangen, so surreal seine Erzählweise hier auch in der zweiten Hälfte wird. Es zeugt aber von Panahis Intelligenz als Regisseur, dass er diese vermeintliche Schwäche in die größte Stärke des Films verwandelt. Denn „Closed Curtain“ ist genau dadurch so kraftvoll, dass die Realität in jeder Einstellung zu erkennen ist.
Es ist gleichzeitig Panahis eigens auferlegte Pflicht, als auch seine einzige künstlerische Ausdrucksmöglichkeit, seine eigene Situation, seinen eigenen Verstand zu dokumentieren. Dadurch erreicht er aber etwas viel Größeres, das nicht nur seinen eigenen künstlerischen Kampf und nicht nur die politische Situation des Iran darstellt, sondern die Essenz des Films als Zwischenwelt von Verstand und Realität einfängt.
Man könnte noch vieles über „Closed Curtain“ sagen, von der Beziehung der drei Charaktere zueinander, die noch vieles mehr über das Medium selbst enthüllen oder die zahllosen Selbstreferenzen. Panahi beweist einmal mehr, dass die äußerlichen Einschränkungen von der Freiheit des Verstandes negiert werden – zumindest wenn man einen so genialen Verstand besitzt wie Panahi. Denn: „You can’t steal reality“.
Punkte: 9/10