I Saw the TV Glow (2024) – und ich sah mich selbst aufleuchten
Manchmal braucht man einfach eine Ablenkung von der Realität, eine Ablenkung von sich selbst und seinen Problemen. Manchmal beschließt man einen Film oder eine Serie zu schauen. Manchmal wird man immer tiefer und tiefer in diese Welt hineingezogen. Und manchmal beginnt man zu realisieren, dass diese Welt längst nicht mehr nur eine Ablenkung ist. Dass man längst nicht mehr auf einen zweidimensionalen Bildschirm starrt. Dass diese Welt etwas zuvor noch nie gefühltes, etwas unbegreifliches darstellt. Dass diese Welt ein Teil seiner Selbst geworden ist. Und so taucht man wieder und wieder in diese Welt ein, auf der Suche nach der Bedeutung dieses unbegreiflichen Gefühls, auf der Suche nach dem Teil seiner Selbst, der sich irgendwo in dieser Welt versteckt. Manchmal findet man dieses fehlende Teil und manchmal nicht. Manchmal bedeutet diese Welt etwas gefunden zu haben, von dem man vorher nichteinmal wusste, dass es existiert und manchmal versteht man auch nach der x-ten Sichtung nicht, nach was man eigentlich sucht. Meistens aber bleibt: man kann nie wieder auf dieselbe Weise auf sich selbst blicken ohne gleichzeitig diese Welt zu sehen und man kann nie wieder auf dieselbe Weise auf diese Welt blicken ohne gleichzeitig sich selbst zu sehen.
Vielleicht kennt nicht jeder dieses Gefühl, Owen aber kennt es nur zu gut – oder lernt es vielmehr kennen. Er ist ein eher schüchterner Siebtklässler inmitten der Neunziger, der zu niemandem, nicht einmal seiner eigenen Familie, eine wirkliche Verbindung zu haben scheint – vielleicht, weil er ebenfalls keine zu sich selbst hat. Allerdings ist er immens fasziniert von der Werbung einer Fernsehsendung, die läuft wenn er schon längst schlafen muss: „The Pink Opaque“. Eine Show rund um zwei jugendliche Mädchen, mit einer übernatürlichen Verbindung, die gemeinsam Dämonen unter der Kontrolle eines Mr. Melancholy bekämpfen. Da seine Eltern ihm verbieten so spät noch wach zu bleiben, übernachtet er bei einer Neuntklässlerin, deren Liebe für die Show schon längst entfacht ist. Die Sendung hat etwas besonderes, etwas Außersweltliches, das Owen schnell auf dieselbe Weise in den Bann zieht.
„I Saw the TV Glow“ schafft erstaunlicherweise genau dieses Gefühl der Immersion auf den Zuschauer zu übertragen. Nicht nur fängt die filmische Welt den Geist der Neunziger und die Magie der Fernsehsendung auf so glaubwürdige Weise ein, dass man sich selbst wie ein Teil der Geschichte fühlt, der Film vollbringt zudem die Meisterleistung gleichzeitig ein zutiefst persönliches, als auch ein universell übertragbares Porträt zu zeichnen, das sich so noch näher anfühlt. Owen beginnt sich nämlich auf dieselbe Weise in der Welt von „The Pink Opaque“ wiederzufinden wie sich der Zuschauer in seiner wiederfinden kann – oder besser gesagt findet er dort das Selbst wieder, das er eigentlich ist. Seine individuelle Unsicherheit, seine Probleme damit sich selbst zu finden und sein Außenseitertum gehen weit über die filmische Dimension hinaus.
Zu jeder Sekunde kann man sich so vollends in Owen hineinversetzen, auch wenn man vermutlich seine Situation nicht direkt teilt. Denn was im Verlauf von „I Saw the TV Glow“ immer klarer wird ist, dass Owens Suche nach sich selbst über das rein Psychische hinausgeht. Im Subtext behandelt der Film Transgender-Thematiken, die größte Stärke der Geschichte ist aber, dass sie eben so universell ist, dass sie gleichermaßen auf jegliche Arten der Selbstfindung übertragbar ist. Das lässt so als außenstehender Zuschauer nicht nur in die Welt eines anderen blicken, sondern blickt gleichermaßen auf einen selbst zurück.
Ich habe mich dabei sowohl in die fluide Kameraarbeit, als auch in die grandiose Beleuchtung, die meist Owens mediale Verbindung verdeutlicht, verliebt. Es dauert etwas den fragmentierten Stil des Films anzunehmen, vor allem in der zweiten Hälfte unterstützt diese Erzählstruktur aber immens die Immersion.
„I Saw the TV Glow“ hat mich Melancholie für eine Zeit fühlen lassen, die ich selbst nichteinmal erlebt habe. Für Owen aber bedeutet sie gleichermaßen seine Verbindung zu „The Pink Opaque“, als auch tiefgreifender seine fehlende Verbindung zu sich selbst – was eigentlich das Gleiche ist. Er sah eben im gleichen Moment, in dem er den Fernseher aufleuchten sah, sich selbst aufleuchten, ohne genau zu wissen warum. Es bleibt an ihm herauszufinden warum, bevor es zu spät ist. Denn manchmal finden wir einen Teil unserer Selbst erst dann, wenn dieser Teil schon längst zu einer unheilbaren Wunde geworden ist.
Jane Schoenbrun hat hier ohne Zweifel einen der besten Filme des Jahres geschaffen, dessen Thematik so weitreichend wie persönlich ist. Die besten Filme wirken nicht wie ein fremdes Produkt, sondern mehr wie ein unentdeckter Teil der eigenen Seele und ich glaube, dass „I Saw the TV Glow“ dies für viele Menschen sein kann.
Punkte: 9/10