Man of the West (1958) – DIE Dekonstruktion des Westerns
Man kennt das Western-Klischee: ein Revolverheld, der sich eigentlich zur Ruhe gesetzt hat, greift erneut zur Tat, um das Richtige zu tun und eine kriminelle Bande aufzuhalten. Ein Akt, der meist als bloße Heldentat verkauft wird, in Anthony Manns „Man of the West“ aber bis auf den kleinsten möglichen Nenner dekonstruiert wird.
„Man of the West“ startet grundsätzlich wie ein gewöhnlicher Western, der scheinbar den gleichen elementaren Bausteinen folgt: Link Jones ist auf dem Weg einen Lehrer für seine Kleinstadt anzuwerben. Seinen Colt hat er hinter sich gelassen, durch einen Zugüberfall wird er allerdings mit seiner Vergangenheit konfrontiert.
Bis zu diesem Punkt könnte oberflächlich ein gängiger Western vorliegen, zumindest wenn man die Details ausblendet, die Mann schon früh nuanciert setzt. In einer der ersten Szenen des Films sehen wir wie Jones sein Pferd in einer Unterkunft abgibt, als er aber bezahlen will, fällt ihm der Geldbeutel herunter, der ihm von den Dorfbewohnern anvertraut wurde. Eine scheinbar aussagelose Geste, die aber direkt einen elementaren Punkt des Films unterstreicht: wir haben es hier nicht mit einem klassischen, omnipotenten Helden zu tun. Jones macht viele Fehler, in der ersten Szene in der er in ein Gefecht gerät wird er beinahe ohnmächtig geschlagen. Er ist in vielerlei Hinsicht das für den klassischen Westernhelden, was John McClane aus „Die Hard“ für den Actionhelden der 80er war: ein fehlerhafter Mann, der bloß versucht in keinen Ärger zu geraten.
„Man of the West“ dreht die klassische Westerngeschichte eines einsamen Helden aber auf eine noch radikalere Weise um: Jones war kein Revolverheld, sondern ein Verbrecher. Er war Teil einer Bande, auf die er nach dem Zugüberfall wieder trifft und so direkt mit seinen Sünden der Vergangenheit konfrontiert wird. Und selbst die klassische Rolle des Love-Interest gibt es nicht: die schöne Sängerin Billie gerät mit in diese Ereignisse und Jones versucht sie zu beschützen, er ist aber ein verheirateter Mann mit zwei Kindern.
So unterscheidet sich „Man of the West“ weniger in der grundsätzlichen Handlung und mehr in seiner Psychologie dahinter. Die Entscheidung wieder zu handeln, wieder zum Revolver zu greifen erlangt dadurch eine Doppelseitigkeit, mit der Jones den ganzen Film über ringt: einerseits kann er nur so aus dieser Situation entkommen, nur so Billie retten und somit das Richtige tun, andererseits kehrt er genau durch diesen Akt der Gewalt zu der Vergangenheit zurück, die er eigentlich hinter sich gelassen hatte. Die Gewalt setzt etwas in ihm frei, das er die ganze Zeit über schaffte zu unterdücken und so findet er sich auf einer gefährlichen Kippe zu dem zu werden, was er mit dieser Tat eigentlich aufhalten will.
Billie ist in dieser schwierigen Lage ein zusätzlicher Faktor, den Mann in seiner Welt auf intelligente Weise umkehrt. Sie verliebt sich in Jones, er ist aber eben verheiratet. In minimalen Gesten wird stetig deutlich, dass er kurz davor ist ihre Gefühle zu erwidern, genau das würde die Münze der Gespaltenheit aber vermutlich endgültig zum erliegen bringen. Sie ist so kein klassischer Love-Interest, der in einem Happy-End mündet, sondern ein indirekter Faktor der Verführung, das unmoralische Leben wiederaufzunehmen, das Jones in früheren Zeiten führte.
„Man of the West“ ist deswegen wohl einer der wenigen Genrevertreter, bei dem die Beschreibung „rauer Westen“ wahrhaftig zutrifft. Der Film ist, anders als viele andere Western, keine Romantisierung dieser Zeitperiode, sondern ein Porträt eines Landes, das aufgrund seiner Unmoralität einen ewigen Kreislauf des Tötens schafft – denn das ist der einzige Ausweg in einem Land, das eigentlich frei sein sollte. Vermutlich ist „Man of the West“ deswegen die beste Dekonstruktion dieses Genres: er kehrt alle ideale und Rollenbilder des Westerns um, um darzustellen wie sehr alle Figuren in genau diesen Rollenbildern gefangen sind – nicht nur Jones selbst, sondern auch Billie, die stets objektifiziert wird.
Würde man schlicht das Ende sehen, so könnte man es als Happy-End interpretieren, mit all dem Vorwissen, das man innerhalb der zwei stündigen Laufzeit gesammelt hat aber, ist es mehr ein unklarer Blick in die Zukunft, in einem Land, in dem ein rechtschaffender Mann durch nur eine einzige Tat wieder zur Gewalt greifen kann.
Punkte: 9/10