The Scarlett Empress (1934) – der glanzvolle Schein eines goldenen Gefängnisses
72 Jahre vor Sofia Coppolas genialer Charakterstudie „Marie Antoinette“, die die titelgebende Monarchin auf beeindruckende Weise vermenschlicht, tat Josef von Sternberg mit „The Scarlet Empress“ ähnlich monumentales. Als sechste Kollaboration des österreichischen Regisseurs mit Schauspiellegende Marlene Dietrich, ergründet der Film das Leben der russischen Kaiserin Katharina II.. In Sternbergs Adaptation ursprünglich eine deutsche Adlige, heiratet Katharina, deren Gebrutsname eigentlich Sophia Frederica lautet, im Jugendalter den russischen Herzog Peter, Thronfolger Russlands.
Keine zeitgenössische Schauspielerin wäre wohl für eine derartige Rolle besser geeignet als Dietrich. Sternberg schreibt ihr durch ihre deutsche Herkunft die Rolle auf den Leib, es ist aber ihre Strahlkraft, die eine tiefgreifendere Beziehung zu ihrer Rolle herstellt. Auch wenn vermutlich alle Filme Sternbergs ihre Frauenrolle äußerst ernstnehmen und über eine bloße Sexifizierung Dietrichs Schönheit hinausreichen, galt sie doch als Stilikone und Sexsymbol. Sie plagt im Kern dieselbe Pauschalisierung, die Sophia Frederica in ihrem Werdegang erlebt und „The Scarlet Empress“ zu einem wahrlich modernen Werk werden lässt.
Sternberg ist weniger an Politik oder einem historischen Porträt Russlands/Europas des 18. Jahrhunderts interessiert und mehr an der Entwicklung einer Frau, die durch den Adel Objektifiziert wird.
„The Scarlet Empress“ beginnt mit der Unschuld eines Kindes, die Sophia Frederica zu diesem Zeitpunkt selbst in sich trägt. Alles, über das sie zu diesem Zeitpunkt nachdenken kann ist, ob ihr zukünftiger Ehemann auch gut aussieht. Ihr fehlt die erwachsene Reife und doch muss sie dem Willen ihrer Mutter unterliegen, einen Mann zu heiraten, den sie nur von Erzählungen kennt und der sich geistig als psychopathisches Kind herausstellt.
Ihr Werdegang beginnt so mit der Ankunft in Moskau, oder vielmehr ihr Weg der Realisation, dass sie nichts werden kann. Sie wird vom Hof wie eine leblose Puppe behandelt, während sie gleichzeitig die lebendigste aller Pflichten erfüllen muss: einen Erben für den Thron zu gebären. Sophia Frederica versucht so weniger wie Copollas Marie Antoinette ihre Identität in diesem Tumult der Oberflächlichkeit beizubehalten und mehr ihre eigene Identität überhaupt zu finden.
„The Scarlet Empress“ fragt ganz offen: Was wird man, wenn man mit derselben Gleichgültigkeit behandelt wird wie all der überflüssige Reichtum? Wie entwickelt sich ein „Kind“ in einer Welt, in der Emotionen von strahlendem Schmuck verborgen werden? Ganz sicher nicht zu einer liebenden, empatischen Frau. Die einzige Möglichkeit diesem identitären Gefängnis zu entkommen ist für Sophia Frederica die sexuelle Rebellion, eine Annahme von Liebhabern, die sie auf dieselbe Weise benutzen kann wie sie objektifiziert wird. Sie nimmt ihre fast unmenschliche Rolle an und dreht sie für den eigenen Nutzen um.
Dabei nutzt von Sternberg die prunkvollen Räume des russischen Adeltums interessanterweise nicht als einsame Leere, wie er es beispielsweise in „Morocco“ tat, sondern als überfüllte Überforderung. Zwischen all den Menschen und Statuen kann man fast vergessen, wie leblos diese Welt doch eigentlich ist, wie fast all seine Inwohner, Statuen und Menschen gleichermaßen, das Leben nur imitieren. Es gibt fast keine Szene ohne Musik und ohne Gruppierungen von Menschen. Sophia Frederica findet wie der Zuschauer keine Ruhe in diesem Getaumel der emotionalen Sterilisierung, das einem goldenen Käfig gleichkommt.
„The Scarlet Empress“ ist eine brilliante Charakterstudie und wahrscheinlich die erhabenste der Kollaborationen Dietrichs und von Sternbergs. Er nutzt Innenräume auf ähnliche Weise als ein prunkvolles Gefägnis wie „Marie Antoinette“, ist gleichzeitig satirisch überzogen als auch ernsthaft in seiner Charakterisierung. Es ist ein Werk, das mit seinem historischen Hintergrund fast überschattet wie modern von Sternberg in seiner weiblichen Charakterisierung ist und wie sehr Sophia Fredericas Situation die oberflächlichen Motive der Klassengesellschaft als gesamten, toten Organismus spiegelt. Denn in einer materialistischen, leblosen Welt bleibt oft nichts anderes übrig als selbst zum Objekt zu werden.
Punkte: 10/10